Unter dem Motto „Sportgerichtsbarkeit und ihre Grenzen“ diskutierten am Abend des 18. Oktobers hochrangige Vertreter aus Verbands- und Vereinsleben im VIP-Raum des Karl-Liebknecht-Stadions. Moderiert von Fachhochschul-Mitarbeiter Andreas Klose konnten die ca. 50 Gäste im Auditorium die unterschiedlichen Aspekte der schwierigen Rechtsfindung rund um unsportliche Verfehlungen im Liga- und Pokalalltag erfahren.
Beweggrund für die Veranstaltung waren die beiden intensiven Auseinandersetzungen unseres SV Babelsberg 03 sowohl mit dem Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) im letzten Jahr als auch das erst kürzlich beendete Berufungsverfahren zu den Vorkommnissen rund um das diesjährige Landespokalfinale vom 21. Mai im KarLi. Folgerichtig war mit Stephan Oberholz der oberste Sportrichter des NOFV genauso zugegen wie der damalige Vorsitzer des berufungsführenden Verbandsgerichts des Fußball-Landesverbands Brandenburg (FLB) und mittlerweile frisch gewählte FLB-Präsident Jens Kaden.
Die Sicht der Vereine wurde durch den Leiter der Fanabteilung von Borussia Dortmund Daniel Lörcher, den Sicherheitsbeauftragten des FC St. Pauli Sven Brux sowie den Babelsberger Vorstandsvertreter und Sicherheitsbeauftragten Christian Lippold vertreten.
Dass sportrechtliche Entscheidungen zwangsläufig bei den betroffenen Vereinen für Unmut sorgen, war keine neue Erkenntnis. Allerdings stellte sich sehr schnell heraus, dass die anwesenden Vereinsvertreter weniger Probleme mit dem Ausurteilen von Vergehen auf dem Spielfeld haben, als doch vielmehr mit der schwer nachvollziehbaren Zurechnung des Verhaltens von Anhängern in den Fanblöcken. Gerade die Entscheidungsfindung bei unsportlichem Fanverhalten war dabei immer wieder Ausgangspunkt für grundsätzlich differente Auffassungen.
Dabei ging es natürlich auch um die Frage der Zuständigkeitsgrenzen der Verbandsrichter. Als Teilnehmer der „Projektgruppe Sportgerichtsbarkeit“ konnte Sven Brux aber Forderungen nach der Entkoppelung des Themas Fanvergehen von der Sportgerichtsbarkeit hin zu einer Zuständigkeit ordentlicher Gerichte überraschend Argumente entgegensetzen, die für eine Beibehaltung der aktuellen Strukturen sprechen. Vor allem der Zeitfaktor und die nicht mehr auf Ligazugehörigkeit abgestimmte Strafbewertung würden die betroffenen Vereine vor Allem in unteren Ligen wohl deutlich höher und unberechenbarer belasten, als der Status Quo.
Einig waren sich aber alle, dass zumindest der Umgang der bei der Urteilsfindung beteiligten Parteien respektvoller und sachkundiger erfolgen müsse. Christian Lippold würdigte in diesem Zusammenhang die für ihn erstmalig positive Erfahrung aus der Berufungsverhandlung beim Verbandsgericht des FLB, in deren Verlauf der ursprüngliche erstinstanzliche Ausschluss aus dem Landespokalwettbewerb unter Auflagen aufgehoben wurde. Gleichzeitig legte er aber auch dar, dass seine vorher gemachten Erfahrungen, gerade im Hinblick auf die erlebte Verhandlungsatmosphäre, regelmäßig von Schuldvorwürfen sowie realitätsfremden Erwartungen geprägt gewesen waren. Beide Verbandsvertreter machten dazu deutlich, dass ihnen in ihren Verhandlungen Vorbereitung und Durchführung auf Augenhöhe immer wichtig sind und so auch bis dato praktiziert wurde.
Im Hinblick auf den Disput zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem NOFV gab Stephan Oberholz diesbezüglich zu bedenken, dass sich der Verein im Vorfeld der Verhandlung, aber vor allem in der Phase der Eskalation, bezüglich der Kommunikation und Interaktion auch nicht wirklich vorbildhaft verhalten hätte. Der im Auditorium anwesende Vereinspräsident Archibald Horlitz akzeptierte diese Einschätzung widerspruchsfrei, verwies aber darauf, dass man beim diesjährigen Prozess rund um das Pokalfinale eine direkte Kommunikation im Vorfeld der Berufungsverhandlung erfolgreich praktiziert habe. Jens Kaden konnte dies umfassend bestätigen.
Für Widerspruch innerhalb des Podiums sorgte im weiteren Verlauf die gerichtsseitig existente Möglichkeit der Strafreduzierung durch die vereinsseitige Ermittlung von Straftätern und die daraus wiederum folgende Option des Durchreichens von Haftung an andere Fans im Zuge einer Benennung zusätzlicher Täter durch die identifizierten Personen. Neben der technischen Herausforderung, die sich schon generell, aber gerade bei einem Viertligisten, wie dem SV Babelsberg 03, ergibt, würde eine derartige faninterne Anzeige von Vergehen eine gefährliche Praxis bedeuten, die zunehmend Störungen innerhalb der Szenen zur Folge hätte. Ein derartiges Denunzieren zur eigenen finanziellen Strafreduzierung würde ohnehin nicht stattfinden – vielmehr gebe es ein solidarisches Unterstützen von betroffenen Personen durch entsprechende Gemeinschaftsveranstaltungen, wie Daniel Lörcher zu bedenken gab.
In der anschließenden offenen Fragerunde wurden vor allem die beiden Verbandsvertreter mit sowohl Verständnis-, aber auch meinungsdifferenten Fragen konfrontiert. Dabei traten sowohl Fanvertreter des SV Babelsberg 03 auf, als auch externe Interessierte aus Sport- und Rechtskreisen. Bei den Fans war beispielsweise von Bedeutung, inwieweit eine Einschätzung der Ausgangssituation bei einem Aufeinandertreffen von Vereinen mit großen und traditionell rivalisierenden Fanszenen bei der Urteilsfindung berücksichtigt wird. Stephan Oberholz entgegnete, dass natürlich die Voraussetzungen jeweils ermittelt und auch tituliert werden, für die eigentliche Strafbewertung des Vergehens aber unerheblich sein muss, ob es sich um ein Hochsicherheitsspiel handele oder eine Partie zwischen Vereinen mit befreundeten Fanszenen. Zumindest in der ersten drei Ligen würde ohnehin der existente Strafenkatalog eine objektive Beurteilung unumgänglich machen.
In den abschließenden Statements der Podiumsteilnehmer wurde ein Hoffnungsblick in die Zukunft geworfen, wobei unser Vereinsvertreter Christian Lippold unter Anderem den Wunsch äußerte, das gerade hinsichtlich der zurechenbaren Handlungen durch Anhänger die technischen Möglichkeiten und deren beanstandungslose Umsetzung am Spieltag stärker in die Urteilsfindung eingehen müsse.
Einig waren sich schlussendlich aber alle, dass eine von weithin akzeptierte Sportgerichtsbarkeit nur möglich sein kann, wenn die beteiligten Parteien auf Augenhöhe und respektvoll miteinander umgehen. Die Vereine und ihre Funktionsträger sind nicht Täter, sondern teilweise sogar Opfer, müssen aber vor Gericht im Sinne einer milderen Strafe unter Umständen Vorkommnisse verharmlosen, die sie eigentlich selbst hochgradig verurteilen.
Bezüglich der Projektgruppe zur Sportgerichtsbarkeit äußerte Sven Brux die Hoffnung, dass das fertiggestellte Konzept, welches im Moment beim Kontrollausschuss der DFL liegt, alsbald zu Reformen führe, da dort diverse Verbesserungen hinsichtlich Transparenz und Akzeptanz bezüglich der Urteilsfindung niedergeschrieben seien.
Noch Stunden nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung tauschten sich Podiumsteilnehmer und Gäste weiter intensiv aus. Auch in diesen Runden setzte sich der bereits zuvor praktizierte respektvolle Umgang miteinander fort. Diese beeindruckende Art des Meinungsaustauschs machte den besonderen Charakter des Abends aus und spricht für die Fähigkeit einer sachgerechten und fairen Auseinandersetzung des SV Babelsberg 03 sowie seiner Anhänger – auch bei differenten Standpunkten.
Der SV Babelsberg dankt den Teilnehmern des Podiums sowie ganz besonders Andreas Klose, dem es gelang, die schwierige Thematik sowie die unterschiedlichen Grundpositionen der Diskutanten für die anwesenden Gäste vernehmbar werden zu lassen. Eine Veranstaltungsform, die auf jeden Fall – da waren sich alle einig – Fortsetzungsberechtigung hat. Denn wer Dialog einfordert, muss auch Dialog leben!
Den Verbandsvertretern wünschen wir für die Zukunft eine gerechte Sicht und Einschätzung und uns Vereinen Urteile, die nachvollziehbar und akzeptabel sind. Allen wäre natürlich am meisten geholfen, wenn sich insgesamt so wenig wie möglich Prozessnotwendigkeiten ergeben.